Hundesprache verstehen: Calming Signals

Calming Signals sind Beschwichtigungssignale, die Hunde in Stresssituationen zeigen. Die Signale zu kennen, kann helfen, die Hundesprache besser zu verstehen.
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Als „Calming Signals“ oder „Beschwichtigungssignale“ werden eine Reihe von Verhaltensweisen bei Hunden bezeichnet, die dazu dienen sollen, sich selbst oder andere zu beschwichtigen. Das Konzept der Calming Signals wurde von der Norwegerin Turid Rugaas entwickelt und soll Hundebesitzern helfen, die Hundesprache besser zu verstehen. Die Theorie besagt, dass Verhaltensweisen wie Gähnen, das Lecken der Schnauze oder das Heben der Pfote von Hunden auch als gezielte Gesten eingesetzt werden können, um mit anderen Hunden oder Menschen zu kommunizieren. Im Folgenden erfahren Sie mehr über die Bedeutung der Beschwichtigungssignale bei Hunden und wie Sie die Signale selbst anwenden.

Was sind Calming Signals?

Calming Signals, zu Deutsch Beschwichtigungssignale, sind Zeichen, die Hunde zur Kommunikation verwenden – mit Artgenossen, aber auch mit Menschen. Sie dienen dazu, Konflikte zu lösen und Spannungssituationen zu entschärfen. 

Das Konzept der Calming Signals stammt von der norwegische Hundetrainerin Turid Rugaas, welche die Körpersprache der Hunde Ende der 1980er Jahre umfassend untersuchte. Bereits früher hatte die Erforschung von Wölfen ergeben, dass diese bestimmte Verhaltensweisen zeigten, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Man ging allerdings davon aus, dass dies nicht auf Hunde zutrifft.

Bedeutung von Calming Signals beim Hund

In ihren Untersuchungen identifizierte Turid Rugaas eine Reihe von Zeichen, die Hunde aussenden, wenn sie beunruhigt sind oder merken, dass ein anderer nervös ist. Das Verhalten kann also beispielsweise dazu dienen, einen aggressiven Hund oder den eigenen aufgebrachten Besitzer zu beschwichtigen. 

Manchmal hat ein Hund auch zum Ziel, sich mithilfe der Gesten selbst zu beruhigen, wenn er sich gestresst oder aufgeregt fühlt. Dies kann auch im positiven Sinne stattfinden, etwa in freudiger Erwartung eines Spaziergangs.

So erkennen Sie die Beschwichtigungssignale

Die meisten Hunde verfügen über eine Vielzahl solcher Calming Signals und jeder Hund verwendet andere. Turid Rugaas geht von 30 bis 37 verschiedenen Beschwichtigungssignalen aus, wobei diese unterschiedlich deutlich zu erkennen sind. 

Das gängigste Signal ist das Lecken der Nase, auch „Züngeln“ genannt. Ein weiteres Zeichen ist es, die Augen zusammenzukneifen, die Lider leicht zu senken oder zu blinzeln. 

Da direkter Blickkontakt unter Hunden generell gemieden wird, fühlen sie sich schnell unwohl, wenn sie von Menschen angestarrt werden oder etwa ein Fotoapparat auf sie gerichtet ist. In einer solchen Stresssituation wenden Hunde daher oft den Blick ab oder drehen den Kopf zur Seite. Manchmal drehen sich die Tiere auch komplett um und kehren ihrem „Gesprächspartner“ den Rücken zu. 

Typische Calming Signals bei Hunden

Weitere häufige Calming Signals bei Hunden sind unter anderem:

  • Gähnen
  • Pfote heben
  • Vermeiden einer direkten Annährung durch das Laufen eines Bogens oder von Schlangenlinien
  • mit dem Schwanz wedeln (vor allem in Verbindung mit anderem Signalen)
  • sich kratzen 
  • urinieren
  • schmatzen („Zungenschlagen“)
  • ohne erkennbaren Grund auf dem Boden schnüffeln

Die verschiedenen Beruhigungssignale können durch den Hund einzeln, aber auch in Kombination (nacheinander oder gleichzeitig) gesendet werden.

Missverständliche Signale

Calming Signals können leicht zu Missverständnissen führen. Bei der Begegnung zweier Hunde ist beispielsweise häufig zu beobachten, dass die Tiere ihre Bewegung verlangsamen oder förmlich erstarren. Manche Hunde setzen oder legen sich auch ganz ruhig hin, wenn ihnen die Situation zu hektisch oder der Kontakt mit den Artgenossen zu stürmisch wird.

Diese Verlangsamung können sie auch zeigen, wenn „ihr Mensch“ angespannt wirkt, etwa weil er unter Zeitdruck steht. Mit einem solchen Verhalten beabsichtigen Hunde keineswegs, ihren gestressten Besitzer noch zusätzlich zu verärgern, sondern sie versuchen im Gegenteil, die Situation zu entschleunigen und die Anspannung zu lösen. 

Ist der Besitzer in Zeitnot, kann er dieses Verhalten seines Vierbeiners als besonders nervenstrapazierend empfinden – wodurch sich letztlich beide Seiten unverstanden und gestresst fühlen.

Hunde verstehen: Beschwichtigungssignale richtig deuten

Ein Signal, das häufig mit einer Spielaufforderung verwechselt wird, soll oft genau das Gegenteil bewirken: Das Strecken der Vorderbeine mit einer tiefen „Verbeugung“ des Oberkörpers kann ebenfalls ein Calming Signal darstellen. Der Hund möchte damit – beispielsweise während eines Spiels – seinem Artgenossen signalisieren, dass dieser ihm zu stürmisch ist. Auch gegenüber grösseren Tieren, etwa Pferden oder Kühen, verwenden viele Hunde dieses Signal. 

Auch das sogenannte „Splitten“ wird häufig missverstanden. Dabei schiebt der Hund sich schlichtend zwischen zwei zu nahe beieinanderstehende Hunde, um den zu engen Körperkontakt der beiden aufzulösen. Zeigt er dieses Verhalten bei sich umarmenden Menschen, wird dies oft als Eifersucht gewertet.

Bedeutung für die Hundeerziehung

Für das gegenseitige Verständnis sollten Hundebesitzer versuchen, sich auf die Sprache ihres Tieres einzulassen. Dazu gehört es, das Verhalten seines Hundes genau zu beobachten und die Zeichen richtig zu interpretieren. So kann man ihn nicht nur aus unangenehmen Situationen befreien, sondern zukünftig auch versuchen, Umstände zu vermeiden, die den Hund in Bedrängnis bringen. 

Calming Signals können laut Turid Rugaas auch die Hundeerziehung erleichtern. Zeigt ein Hund beispielsweise während einer Übung ein Beschwichtigungssignal, kann es ratsam sein, seine eigene Stimme und Körperhaltung zu überprüfen. Vielleicht ist der Hund auch mit der Aufgabe überfordert oder fühlt sich gestresst. Die Reaktion des Hundes kann also eine wichtige Rückmeldung für die Erziehung darstellen.

Doch die Signale sind nicht nur eine Informationsquelle, um das Befinden eines Hundes zu beurteilen. Menschen können sie auch selbst anwenden, um mit ihrem Hund zu kommunizieren. 

Calming Signals selbst anwenden 

Wenn Hunde eine beschwichtigende Nachricht an ihre Artgenossen richten, erhalten sie von diesen im Normalfall eine Antwort, die signalisiert, dass das Zeichen verstanden wurde und es keinen Grund zur Beunruhigung gibt. Bei Menschen warten die Tiere hingegen meist vergeblich auf eine solche Antwort. 

Hundebesitzer können die Signale gezielt einsetzen, um ihren Hund zu beruhigen, ihn mit schwierigen Gegebenheiten vertraut zu machen und das gegenseitige Vertrauen zu stärken.

So können Wegschauen, den Kopf wegdrehen oder Gähnen vonseiten des Menschen helfen, eine für den Hund unangenehme Situation zu entschärfen. Eine weitere Möglichkeit ist das gemeinsame Bogenschlagen um einen entgegenkommenden Hund, der dem eigenen Hund Angst einjagt.

Körpersprache nicht überinterpretieren

So willkommen das Konzept der Calming Signals vielen Hundebesitzern ist, die ihren Hund gerne verstehen möchten: Man sollte das Verhalten seines Vierbeiners auch nicht überinterpretieren. Seinen Hund genau zu beobachten und auf sein Verhalten einzugehen, ist zwar wichtig, doch ist auch immer die Gesamtsituation entscheidend. 

Denn alle Gesten haben auch andere mögliche Bedeutungen: So kratzt sich ein Hund zum Beispiel möglicherweise nur, weil es ihn juckt oder er gähnt, weil er müde ist – und nicht, weil er seinem Besitzer etwas mitteilen möchte.

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Calming Signals sind umstritten

Turid Rugaards Interpretation der Calming Signals ist umstritten. Kritisiert wird, dass eine falsche Interpretation der Zeichen mitunter gefährliche Folgen nach sich ziehen kann. Kritiker bezweifeln ausserdem, dass tatsächlich alle von Rugaard beschriebenen Gesten Calming Signals darstellen – vor allem das Gähnen steht in der Diskussion. 

Andere stellen infrage, ob die Zeichen wirklich dem eigenen Stressabbau des Hundes dienen können oder nur dafür verwendet werden, aggressives Verhalten anderer zu beschwichtigen und so einen Konflikt abzuwenden. Werden die Gesten in Stresssituationen gezeigt, könnten sie eher auf Übersprunghandlungen zurückgehen.

Zudem ist sich die Wissenschaft uneins, ob es sich bei den Calming Signals wirklich um bewusste Signale der Hunde oder um unwillkürliche Reaktionen ohne Kommunikationsabsicht handelt.

- Autor: Silke Hamann

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